Der BGH ändert seine Rechtsprechung: Einheitliche Beendigung eines selbstständigen Beweisverfahrens ohne vorherige Verjährung einzelner Mängelkomplexe – Urteil des BGH vom 22. Juni 2023 = VII ZR 881/21

Ein selbständiges Beweisverfahren ist grundsätzlich erst mit der vollständigen sachlichen Erledigung der beantragten Beweissicherung  im Sinne von § 204 Abs. 2 Satz 1 Fall 2 BGB beendet.

Dabei hebt der BGH entscheidend auf den Wortlaut des Gesetzes ab und gelangt zu dem Schluss, dass entscheidend für die Beurteilung der sachlichen Erledigung grundsätzlich das Ende der gesamten Beweisaufnahme ist. Das gilt unabhängig davon, ob in einem selbständigen Beweisverfahren die Sicherung des Beweises hinsichtlich nur eines Mangels oder mehrerer – auch voneinander unabhängiger – Mängel stattfindet und auch ohne Rücksicht darauf, ob diese durch einen oder mehrere Sachverständige erfolgt. Damit gibt der BGH seine seit 1992 geltende Rechtsprechung ausdrücklich auf.

Bisher war die Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens mit mehreren voneinander unabhängigen Mängelthemen eine hochriskante Angelegenheit, da sich der Verjährungsbeginn uneinheitlich gestaltet hat und zur Vermeidung des Eintritts der Verjährung einzelner Mängelrechte regelmäßig der prozessuale Zwang bestand, noch vor Beendigung des selbstständigen Beweisverfahrens ins Hauptsacheverfahren zu gehen. Es kam bisher darauf an, wann der einzelne Mangel das letzte Mal im Rahmen des Verfahrens erörtert worden ist. Bei der Entscheidung des BGH dürften daher neben dogmatischen Erwägungen auch Gründe der Zweckmäßigkeit eine Rolle gespielt haben.

Im konkreten Fall begann die Verjährungsfrist mit der Abnahme der Leistung. Diese wurde durch ein selbständiges Beweisverfahren nach § 204 Abs. 1 Nr. 7 BGB zunächst unterbrochen.

Das Gericht betonte, dass das selbständige Beweisverfahren erst dann als beendet gilt, wenn die gesamte Beweisaufnahme abgeschlossen ist und einzelne abgeschlossene Gutachten für bestimmte Mängel nicht ausreichen, um die Hemmung der Verjährung für die dort behandelten Mängel wieder zu beenden.

Nach Ansicht des Senats bleibt für den Schuldner erkennbar, dass der Gläubiger weiterhin Ansprüche verfolgt, auch wenn die Gutachten für bestimmte Mängel abgeschlossen sind. Dies unterstützt den Zweck der Verjährungshemmung.

Die rechtliche Selbständigkeit von Mängeln und Ansprüchen kann nicht zu einem anderen Ergebnis führen.