Grundsätzlich Beschlusszwang für alle baulichen Maßnahmen BGH Urteil vom 17.03.2023 = V ZR 140/22

Nunmehr liegt das Urteil des BGH vom 17.03.2023 = V ZR 140/23 zum sogenannten „Beschlusszwang“ für bauliche Maßnahmen mit Begründung vor.

 

Danach besteht grundsätzlich für sämtliche baulichen Veränderung am gemeinschaftlichen Eigentum ein sogenannter Beschlusszwang. Das bedeutet, dass jedwede bauliche Veränderung am gemeinschaftlichen Eigentum zuvor eines Gestattungsbeschlusses gem. § 21 Abs. 1 WEG bedarf. Fehlt ein solcher Gestattungsbeschluss, ist die Maßnahme rechtswidrig und allein deswegen kann der Rückbau von der WEG (nicht mehr dem einzelnen Eigentümer unmittelbar) verlangt werden. Die wesentlichen Aussagen des Urteils lauten:

 

  1. Der auf Rückbau in Anspruch genommene Eigentümer kann sich im Rückbauverfahren nicht damit verteidigen, dass er einen Rechtsanspruch auf Gestattung habe, etwa weil die bauliche Maßnahme keinen anderen Eigentümer beeinträchtigt (§ 20 Abs. 3 WEG) oder weil alle beeinträchtigten Eigentümer einverstanden sind (§ 20 Abs. 3 WEG) oder weil es sich um eine privilegierte bauliche Maßnahme im Sinne von § 20 Abs. 2 Ziff. 1-4 (Barrierefreiheit/E-Mobilität/Einbruchsschutz/besseres Telekommunikationsnetz) handelt.

 

  1. Der bauwillige Eigentümer muss vor Beginn des Umbaus einen Gestattungsbeschluss erwirken, d.h. also die Gestattung beantragen und einen Gestattungsbeschluss herbeiführen, sei es in Form eines Mehrheitsbeschlusses im Rahmen einer Präsenzversammlung, eines Umlaufbeschlusses mit Zustimmung sämtlicher Eigentümer gem. § 23 Abs. 3 Satz 1 oder eines vereinfachten Umlaufbeschlusses mit Mehrheit und einem vorausgehenden Vorschaltbeschluss gem. § 23 Abs. 3 Satz 2 WEG.

 

  1. Kommt der beantragte Gestattungsbeschluss nicht zustande, muss der bauwillige Eigentümer diesen im Wege einer Beschlussersetzungsklage gem. § 44 Abs. 1 Satz 2 WEG vor Beginn der Baumaßnahme erzwingen.

 

  1. Ausnahmsweise ist ein Gestattungsbeschluss entbehrlich, wenn die bauliche Veränderung ausschließlich im räumlichen Bereich des Sondereigentums stattfindet und es sich um eine „übliche Veränderung“ des dort befindlichen Gemeinschaftseigentums handelt, wie etwa das Bohren von Dübellöchern in tragende Wände. Hier geht der BGH davon aus, dass eine solche Maßnahme „ohne weiteres als gestattet anzusehen“ sei (RN 30 des Urteils). Das dürfte etwa auch für den farbabweichenden Innenanstrich der Wohnungsabschlusstüre gelten.

 

5. Ob dieses Urteil auch auf bauliche Veränderungen anzuwenden ist, die bereits vollständig abgeschlossen sind und dies ggf. auch noch vor Inkrafttreten der WEG-Reform am 01.12.2020, hat der BGH ausdrücklich offengelassen und auf die kontroverse Rechtsprechung zum alten Recht Bezug genommen (RN 29 des Urteils). Hier wird man möglicherweise unterscheiden müssen, ob die bauliche Veränderung bereits vor dem 01.12.2020 komplett abgeschlossen war oder erst danach. Es ist daher zu erwägen, bei Erkennbarkeit des Beginns oder der Durchführung einer baulichen Veränderung eine einstweilige Verfügung auf Baustopp zu erwirken, wie dies auch im entschiedenen BGH-Fall war.